Abstammung von den Kirchentonarten
Die heutzutage verwendeten Kirchentonleitern stammen von den Kirchentonarten des Mittelalters ab. Das waren verschiedene melodische Wendungen, von denen man glaubte, dass sie direkt vom Heiligen Geist kommen. Die Kirchentonarten (auch Modi genannt) hatten symbolische Bedeutung und wurden zu jeweils festen Zeitpunkten im Kirchenjahr verwendet.
Die früheste bekannte Verwendung ist auf die gregorianischen Gesänge um 800 n. Chr. datiert. Ein exaktes, einheitliches System der Verwendung ist nicht überliefert, da das Tonsystem und die Notenschrift im Mittelalter noch lange nicht so ausgetüftelt waren wie heute. Immerhin besteht Gewissheit darüber, dass die gegenwärtig dominierenden Tonarten Dur und Moll keine große Rolle spielten, während andere Modi mehr Bedeutung hatten.
Kirchentonleitern in der westlichen Harmonielehre
Mit Entwicklung der Harmonielehre und Notenschrift in der heutigen Form im 17. Jahrhundert wurden auch die Kirchentonleitern systematisiert. Dabei werden sieben Modi unterschieden, welche die Namen griechischer Säulen tragen: ionisch, dorisch, phrygisch, lydisch, mixolydisch, äolisch, lokrisch.
Grundsätzlich kann jede Kirchentonleiter von jedem Ton aus gebildet werden. Der Einfachheit halber wird hier von der Dur-Tonleiter auf C ausgegangen. Denn Dur ist gleichzeitig die erste Kirchentonleiter, also ionisch:
Kirchentonleiter
In Dur gibt es Halbtonschritte zwischen dem dritten und vierten Ton (hier E und F) sowie zwischen dem siebten und achten Ton (hier B und C), zwischen den anderen Tönen liegt jeweils ein Ganztonschritt. Diese Struktur der Ganz- und Halbtonschritte charakterisiert den typischen Klang einer Dur-Tonleiter, der meistens als fröhlich gehört wird.
Um die Struktur der anderen Kirchentonleitern zu erhalten, spielt man genau dieselben Töne – also nur die weißen Tasten – allerdings von einem anderen Ton aus beginnend. Folglich erhält man sechs weitere Tonleitern, bei denen die charakteristischen Halbtonschritte an anderer Stelle liegen. Um den jeweils typischen Klangcharakter herauszuhören, empfiehlt es sich, die Tonleitern mehrmals zuerst aufwärts bis zur Oktave und dann wieder abwärts zu spielen.
Übersicht: Modi der Kirchentonleiter
Ionisch (Dur): c d e f g a b (c) – Halbtonschritte zwischen 3. und 4. sowie 7. und 8. Ton
Dorisch: d e f g a b c (d) – Halbtonschritte zwischen 2. und 3. sowie 6. und 7. Ton
Phrygisch: e f g a b c d (e) – Halbtonschritte zwischen 1. und 2. sowie 5. und 6. Ton
Lydisch: f g a b c d e (f) – Halbtonschritte zwischen 4. und 5. sowie 7. und 8. Ton
Mixolydisch: g a b c d e f (g) – Halbtonschritte zwischen 3. und 4. sowie 6. und 7. Ton
Aölisch (Moll): a b c d e f g (a) – Halbtonschritte zwischen 2. und 3. sowie 5. und 6. Ton
Lokrisch: b c d e f g a (b) – Halbtonschritte zwischen 1. und 2. sowie 4. und 5. Ton
Die lokrische Tonleiter zum Beispiel, die als düsterste und melancholischste gilt, trat im Mittelalter noch gar nicht auf. Sie wurde zur Vervollständigung des Systems eingeführt und erfreut sich heute etwa im Jazz großer Beliebtheit. Über die Grenzen der westlichen Kultur hinaus entsprechen viele der Kirchentonleitern sogenannten Ragas in der indischen Musik.
Verwendung in der zeitgenössischen Musik
Die Kirchentonleitern sind heute immer noch in vielen Liedern in kirchlichen Gesangsbüchern zu finden. Doch nicht nur da! Auch in der Rockmusik gehören sie zum harmonischen Standard-Repertoire für Melodien und Solos.
Im Jazz war es der Trompeter und Komponist Miles Davis (1926-1991), der den sogenannten „Modal Jazz“ populär machte. Dabei kommt eine Komposition ausschließlich mit dem Tonmaterial und Klangcharakter eines Modus, also einer Kirchentonleiter aus.