Ländlicher Raum: Funktion für Agrar, Ökologie, Erholung, Gewerbe & Industrie

Die klassischen Funktionen, welche dem ländlichen Raum in den Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften zugewiesen werden, sind vor allem die land- und forstwirtschaftliche Produktion, die Gewinnung von Rohstoffen und Mineralvorkommen, Freizeit und Erholung, die langfristige Sicherung der Wasserversorgung und der ökologische Ausgleich. Hinzu kommt die für den Ländlichen Raum quasi „eigene“ Funktion als Wohn-, Wirtschafts- und Freizeitraum (vgl. Henkel 2004, S. 39).

Funktionen des ländlichen Raumes

Funktionen des ländlichen Raumes - Norbert Wilke / pixelio.de

Agrarproduktionsfunktion

Früher war die Landwirtschaft mit dem Ländlichen Raum gleichzusetzen. Aktuell ist diese Form der Agrarproduktion aber nur noch eine von mehreren Funktionen, die der ländliche Raum beinhaltet. Allgemein dient diese Art der Funktion, wie der Abbildung zu entnehmen ist, der Erzeugung land- und forstwirtschaftlicher Produkte sowie der Erhaltung und Pflege der ländlichen Kulturlandschaft.

Die Landwirtschaft hat sich, sei es auf dem Gebiet des Ackerbaus, der Tierhaltung oder der Forstwirtschaft stetig modernisiert. Große, schnelle Maschinen sind in der Lage mehrere Menschen zu ersetzen und das zu einem erheblich geringeren Zeit- und Arbeitsaufwand. Dadurch bleibt die Agrarproduktionsfunktion und ihre Tätigkeiten zwar immer noch primärer Wirtschaftsfaktor, jedoch ist zu sagen, dass weit weniger Menschen Land- oder Forstwirtschaft betreiben, als das vor 50 oder 100 Jahren der Fall war.

Kulturlandschaft bezeichnet die durch den Menschen geprägte Landschaft. Wichtige Faktoren für die Entstehung und Entwicklung der Kulturlandschaft sind sowohl Beschaffenheit (Standortbedingungen) des Naturraums, die ursprüngliche Flora und Fauna, die menschlichen Einflüsse, als auch die daraus resultierenden Wechselwirkungen. Die Notwendigkeit der Erhaltung und Pflege solcher Landschaften zeigt sich anhand folgender Besonderheiten:

Sie dienen der Erhaltung kultureller Werte
– Sie bilden wichtige Grundlage für Biotope und Artenschutz
– Sie verbessern die Chancen für einen umwelt-, sozial- und kulturverträglichen Tourismus (vgl. Bröckling 2004, S. 25)

Ökologische Funktion

Die Erhaltung und Schaffung eines ökologischen Gleichgewichts und gesunder Umweltbedingungen ist aus heutiger Sicht und im Hinblick auf den aktuellen Klimawandel die wichtigste Funktion überhaupt. Sauberes Trinkwasser, saubere Luft, unbelastetes Klima, Lärmfreiheit und die Möglichkeit landschaftsbezogener Erholung sind von wesentlicher Bedeutung für den Menschen. Der Ländliche Raum bietet aufgrund seiner vielen naturnahen und ländlichen Freiflächen enormes Potenzial, um diese Funktion in sinnvoller und erfolgreicher Weise umzusetzen (vgl. LEP IV 2008, S 187ff.). Eine umweltverträgliche Bodenbewirtschaftung durch sparsamen und schonenden Umgang mit dem Boden kann nur dann erfolgen, wenn die Flächeninanspruchnahme und die Bodenversiegelungen auf ein gewisses Maß begrenzt werden. Dadurch wird gegen das Entstehen schadstoffbedingter Bodenveränderungen, Erosionen und Verdichtungen vorgesorgt. Die Ausweisung von Natur-, Landschafts- und Wasserschutzgebieten tragen dabei ebenso zur Sicherung der ökonomischen Leistungsfähigkeit und dem Erhalt natürlicher Lebensgrundlagen bei. Die Festsetzung von Wasserschutzgebieten dient vor allem der öffentlichen Wasserversorgung, also der nicht nur vorübergehenden Versorgung der Bevölkerung mit Trink- und Brauchwasser. Insbesondere für den ländlichen Raum ist diese Eigenschaft lebensnotwendig für die dort lebende Bevölkerung. Die Festlegung von Naturschutzgebieten erfolgt für jedes Land auf Grundlage von Gesetzen immer etwas anders. Gemeinsame Merkmale aber bilden die Pflege der Tier- und Pflanzenwelt sowie der Erhalt von einzigartigen und von wissenschaftlich besonders schön geltenden Naturflächen. In diesem Fall wird versucht, den natürlichen Lebensraum des ländlichen Raumes beizubehalten. Gleichzeitig bietet sich dem Menschen die Gelegenheit, die Vielfalt und Besonderheit des ländlichen Raumes dauerhaft zu bewundern (vgl. BfN 2009, online).

Erholungsfunktion

Die Bereitstellung von Freizeit- und Erholungseinrichtungen kann für viele Ländliche Räume eine wichtige Einkommensquelle in einer wirtschaftlich schwachen Region darstellen. Ebenso wichtig erscheint dabei die Pflege und Gestaltung der Erholungslandschaft, als Voraussetzung, um Touristen jeglicher Art anzulocken. Dabei gibt die Ausstattung eines Ländlichen Raumes in Form von Hotels, Gaststätten, Wanderwegen, seiner verkehrlichen Anbindung usw. Aufschluss darüber, ob sich ein Ländlicher Raum als Erholungs- und Tourismusstandort anbietet. Diese zählen zu den abgeleiteten oder standortfüllenden Voraussetzungen des Tourismus im ländlichen Raum. (vgl. Henkel 2004, S. 208ff.).

Als besonders wichtige fremdenverkehrsspezifische Infrastruktureinrichtungen gelten die Bereiche Sport (z.B. Skilift, Bäder, Loipen), Kultur (Museen, Festivals, geführte Touren) sowie Medizin und „Wellness“ (z.B. Kurangebote, Spezialkliniken, Kneippeinrichtungen). Darüber hinaus ist die landschaftliche Attraktivität eines ländlichen Raumes, also die ursprüngliche und standortgründende Voraussetzung für Tourismus (vgl. Henkel 2004, S. 210), keineswegs zu vernachlässigen. Attraktive Kulturlandschaften zeichnen sich durch ein harmonisches Verhältnis von land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen aus. Eine reine Waldlandschaft gilt als ebenso unattraktiv wie ein zu niedriger Waldanteil. Sind in harmonisch bewaldeten Kulturlandschaften zusätzlich größere Seen und Flüsse anzutreffen oder verläuft hier sogar eine Küstenlinie, dann steigert dies sehr wesentlich ihre Attraktivität (vgl. ROB 2005, S. 209f.). Die Auswirkungen des Fremdenverkehrs auf seine ländlichen Zielgebiete sind vielfältig und reichen vom ökonomischen, über den sozialen bis hin zum ökologischen Bereich. Ökonomisch gesehen führt die entsprechende touristische Nachfrage zu einer Umsatzsteigerung und Erhöhung der Einnahmen in den Fremdenverkehrsorten und wirkt indirekt auch auf die Finanzkraft der dortigen Kommunen. Der Fremdenverkehr kann durch seine ökonomische Wirkung unter anderem Bevölkerungsabwanderungen bremsen, Arbeitsplätze schaffen, Einkommen erhöhen, Infrastruktur sichern und aufbauen und damit lokale und regionale Entwicklungsdefizite abtragen und beseitigen. Demnach gestaltet sich das Fazit der ökonomischen Wirkungen des Tourismus im ländlichen Raum durchweg positiv (vgl. Henkel 2004, S. 214).

Sozial gesehen führt der Fremdenverkehr zu einer beruflichen Umschichtung der ländlichen Bevölkerung. Die Anteile der Erwerbspersonen in Landwirtschaft und Handwerk sinken, gleichzeitig aber steigen die Anteile der touristischen Dienstleistungen. Der damit verbundene Massenandrang von Touristen kann die sozialen Lebensverhältnisse der Einheimischen nachteilig beeinflussen. Die herkömmliche Volkskultur gerät somit in Gefahr, wenn durch den Tourismus eine übermäßige Vermarktung und „Verkitschung“ auf dem Land vorherrscht (vgl. Henkel 2004, S. 216). Die ökologische Wirkung durch den Tourismus, ist die Konsequenz der ökonomischen, baulichen, sozialen und verkehrsgeographischen Entwicklung. Ziel und Geschäft des Fremdenverkehrs ist es „freie Güter“ wie Sonne, Schnee, Wald, Wasser, Luft, Dorfbilder und Landschaften für ihre Zwecke zu kommerzialisieren, also die Interessen so zu gestalten, dass sie wirtschaftlichen Gewinn einbringen. Der immense Flächenverbrauch, sowie die Belastungen von Natur und Land durch Lärm, Bodenerosionen, Boden-, Wasser- und Luftverschmutzung schränken das Naturpotential erheblich ein (vgl. Henkel 2004, S. 218f.).

Standortfunktion

Als Basis für den Bau von neuem Gewerbe, Kraftwerken, Mülldeponien oder Flugplätzen wird enorm viel Platz benötigt. In der Raumplanung bietet der ländliche Raum daher etliche Möglichkeiten zur Neuansiedlung solch großer Projekte. Seit Jahrzehnten erfährt der ländliche Raum einen nicht zu unterschätzenden wirtschaftlichen Impuls durch Industrieansiedlungen. Meist werden diese durch staatliche Programme mitfinanziert und gefördert (vgl. ROB 2005, S. 211f.). Besonders Kraftwerke, egal welcher Art siedeln sich in eher dünn besiedelten, ländlichen Gebieten an. Die Kombination aus Lärm, Gestank, Abfallbeseitigung und der Zerstörung des Landschaftsbildes lässt es meist nicht anders zu, als dass sich diese Branche in Regionen mit geringer Bevölkerungsdichte ansiedeln. Andererseits gibt es auch eine ländliche Bevölkerung, die mit genau diesen Problemen auskommen muss. Die daraus resultierenden Konflikte sind aufgrund der dort lebenden Zahl von Menschen, meist aber geringer einzuschätzen, als in städtischen Randgebieten. Ähnliches gilt für die Ansiedlung von Mülldeponien oder Müllverbrennungsanlagen deren Gestank sich sinnvoller Weise natürlich nicht über einen Verdichtungsraum ausbreiten soll. Ebenso flächenintensiv gestaltet sich der Bau eines Flughafens. Der Ländliche Raum bietet diesen Freiraum, weshalb sich Flughäfen, meist mittlerer Größe (z.B. Frankfurt-Hahn, Düsseldorf-Weeze, Leipzig-Altenburg, Hamburg-Lübeck) hier niederlassen (vgl. ROB 2005, S.211f.). Weiterhin beherbergt der ländliche Raum eine Vielzahl von Rohstoffen und Mineralien. Die Gewinnung dieser Wertstoffe wiederum bringt sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich. Die Weiterverarbeitung und Verwendbarkeit der einzelnen Rohstoffe für den Endverbrauch ist als insgesamt positiv zu bewerten. Allerdings zerstören beispielsweise unzählige Steinbrüche und Kiesteiche das Landschaftsbild und bedeuten für den heimatverbundenden Menschen und den einzelnen Anwohner einer Region, eine totale Umwandlung der Kulturlandschaft (vgl. Weserberge 2004, online).

Raumstrukturtypen ländlicher Räume

Die funktional-analytische Definition des ländlichen Raumes verknüpft räumliche Funktionsmerkmale mit Distanz- und Verflechtungskriterien. Damit wird hauptsächlich eine Zuordnung zu benachbarten Großstädten und Agglomerationsräumen deutlich gemacht. Weit verbreitet ist die Anwendung der Typisierung der OECD. Dem Hauptindikator Bevölkerungsdichte folgend werden drei Typen unterschieden, nämlich überwiegend städtisch (urban), überwiegend ländlich (rural) und intermediär (semirural). Eine Region gilt als überwiegend ländlich, wenn über 50% ihrer Einwohner in ländlichen Gemeinden leben, als überwiegend städtisch, wenn dies für weniger als 15% zutrifft, und als intermediär, wenn zwischen 15% und 50% der Bevölkerung in ländlichen Gemeinden leben. Nach OECD Definition zählen 93% des Hoheitsgebietes der EU-27 zum ländlichen Raum, ca. 58% der Bevölkerung lebt in diesen vorwiegend ländlich geprägten Gebieten (vgl. Gebhardt et al. 2007, S. 603f.). Folgende Abbildung zeigt die geographische Lage der ländlichen Räume in Europa.

Die Karte (Quelle: Gebhardt et al. 2007, S. 605) zeigt sehr deutlich, dass alle skandinavischen Länder überwiegend ländlich geprägt sind (grün) und dass selbst die Hauptstädte nicht in der Lage sind die geringe Bevölkerungsdichte im gesamten Raumgefüge aufzuwerten. Das Vereinigte Königreich Großbritannien ist abgesehen von der Metropolregion London, den Arbeiterstädten Liverpool und Manchester, sowie den schottischen Städten Glasgow und Edinburgh signifikant ländlich (beige). Irland dagegen ist zu 100% überwiegend ländlich und weist damit einen ländlichen Bevölkerungsanteil von über 50% auf. Ähnliches gilt für den Osten Europas, der zwar eine höhere Bevölkerungsdichte als der Norden hat, aber dennoch als überwiegend ländlich eingestuft ist. Ebenso ländlich wie der Osten, ist das Erscheinungsbild in Südost- und Südwesteuropa. Griechenland, Italien, Spanien, Portugal und Frankreich sind von ähnlicher Struktur, wie die Länder im Osten Europas. Einzig die Metropolen Paris, Madrid, Barcelona, Rom, Mailand und Athen haben einen ländlichen Bevölkerungsteil von unter 15% (rot) und sind deshalb überwiegend städtisch. Deutschland ist sowohl ländlich, als auch städtisch geprägt. Es herrscht ein deutlicher Ost-West-Gegensatz, wobei der Osten eher ländlich und der (Süd)westen eher städtisch ist. Die Beneluxstaaten, um Belgien, den Niederlanden und Luxemburg verfügen über einen hohen städtischen Bevölkerungsanteil.

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