Dyskalkulie: Definition + Symptome + Diagnose + Therapie

Inhaltsverzeichnis

  1. Definition
  2. Symptome
  3. Diagnose
  4. Warum hilft Üben nicht?
  5. Therapie
  6. Fallbeispiel ANNA
  7. Diagnostische Untersuchung, Annas Defizite
  8. Fördermöglichkeiten

Hier zum Artikel „Dyskalkulie Übungen: Wie kann man helfen?„.

1. Definition

Das systematische Lernversagen beim Erwerb fundamentaler arithmetischer Einsichten bezeichnet man als Dyskalkulie (andere Begriffe sind Arithmasthenie oder Rechenschwäche). Die Probleme der Betroffenen liegen meist im Zahlverständnis. Fehlende Grundlagen im vorzahligen Bereich sowie beim Aufbau eines Mengen- und Zahlenbegriffs sind weitere Merkmale. Dyskalkulie bedeutet ausdrücklich nicht ein Mangel an Intelligenz, Begabung oder die Fähigkeit zum logischen Denken, sondern vielmehr ein definierter Ausfall im mathematischen Lernen. Folgen sind bei Betroffenen oft die Orientierung am Misserfolg, was zu Schulunlust und Schulangst führen kann.

Dyskalkulie
Bildquelle: © flickr.com Author: fcstpauligab

2. Symptome

Auch bei Nicht-Dyskalkulien können die Symptome einer Dyskalkulie einzeln oder kombiniert auftreten, was aber noch nicht den Befund einer Dyskalkulie bedeutet. Treffen jedoch eine Vielzahl der Symptome zu, sollte eine genauere Untersuchung durchgeführt werden. Erst mit einer genauen Diagnostik kann das individuelle Profil der Dyskalkulie festgestellt werden und einer gezielten Hilfestellung dienen.

  • fast alle Aufgaben werden durch Zählen mit den Fingern oder mit Hilfe von Anschauungsmaterial gelöst
  • bei Addition und Subtraktion wird sich häufig um 1 verrechnet
  • es wird auch da gezählt, wo sich Zählen erübrigt (nach 7+8=15 wird 7+9 erneut ausgezählt)
  • alle sich aus der Logik des Zahlaufbaus und dem Zusammenhang der Operationen ergebenden Rechenerleichterungen bleiben systematisch ungenutzt (nach 3+4=7 wird 7-4 neu abgezählt)
  • dekadische Transferleistungen sind nicht möglich (nach 3+4=7 wird 13+4 neu durchgezählt)
  • Subtraktionsaufgaben werden regelmäßig nicht oder falsch gelöst
  • Rechenarten werden verwechselt
  • an die Stelle des stupiden Zählens tritt oft das begriffslose, rein mechanische Rechnen, auch da, wo sich die Mechanik logisch verbietet (13-12 wird gerechnet als 10-10=0 und 3-2=1)
  • anstelle der Operationslogik treten subjektive Rechenregeln (10+10=200)
  • es werden häufig die Zehner und Einer von Zahlen vertauscht; Zahlreversionen (24 statt 42)
  • die Stellenwerte von Zahlen werden beim Rechnen missachtet (bei 30+25=82 wird gerechnet 3+5=8 und 0+2=2)
  • die Bedeutung der Null als Zahl und als Ziffer wird nicht erkannt
  • Multiplikationsreihen werden begriffslos wie ein Gedicht aufgesagt (9×9=81; 8×9=72; 81-9 muss neu abgezählt werden)
  • offensichtlich falsche Lösungen werden nicht erkannt, häufig werden „Traumergebnisse“ produziert (200:2=1)
  • Platzhalteraufgaben (analytische Aufgaben) können nicht gelöst werden (x-4=6)
  • bei Textaufgaben zeigt sich völliges Unverständnis, es werden falsche Fragen formuliert, z.B. nach schon gegebenen Inhalten, und falsche Rechnungen angestellt, die Antworten passen nicht zur Frage
  • der rechnerische und praktische Umgang mit Größen (Strecken, Gewichten, Geld, Zeiten) gelingt nicht oder kaum
  • das räumliche und/oder zeitliche Vorstellungsvermögen ist nicht altersgemäß entwickelt
  • mühsam Eingeübtes ist nach kurzer Zeit wieder vergessen

3. Diagnose

Liegen viele der Symptome bei einem Kind vor, empfiehlt es sich, eine diagnostische Untersuchung durchführen zu lassen. Diese wird von unterschiedlichen therapeutischen Zentren in Deutschland durchgeführt. Ein Diagnosetest stellt die Art und den Ausprägungsgrad einer Dyskalkulie fest und erstellt ein individuelles Dyskalkulieprofil, durch das eine dyskalkulietherapeutische Förderung gezielt und sinnvoll angesetzt werden kann.

4. Warum hilft Üben nicht?

Rechenschwache Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die ausschließlich ein Problem im mathematischen Lernen haben, sind normal bis überdurchschnittlich intelligente Menschen. Dyskalkulie ist demnach nicht die Folge mangelnder Konzentration oder fehlenden logischen Denkvermögens, auch nicht aus Dummheit oder Unwilligkeit des Betroffenen.

Alle herkömmlichen Formen des Übens und Nachhelfens zeigen dennoch keinen Erfolg. Die Bemühungen, rechenschwachen Kindern und Jugendlichen durch zusätzliche Förderstunden und Übungen den aktuellen Schulstoff zu vermitteln, scheitern fast immer, da sie zum Einüben von Unverstandenem gezwungen werden. Ein solches Üben ist sinnlos und eine Qual für Kinder und Eltern.

Zudem trägt das „übertrainieren“ zur sekundären Neurotisierung des Kindes bei, d.h. es reagiert auf die eigenen, vergeblichen Bemühungen häufig mit Lernabneigung und Mathe-Angst, die sich zu einer fächerübergreifenden Lernunlust und sogar zu einer allgemeinen Schulangst ausweiten können. Des Weiteren können die in Folge einer Dyskalkulie möglichen psychischen Beeinträchtigungen wiederum die weitere kognitive Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen beeinträchtigen.

5. Therapie

Wenn eine Dyskalkulie vorliegt, hilft zur Aufarbeitung der Defizite im Mathematik-Verständnis nur eine Dyskalkulietherapie. Es wird eine integrative Dyskalkulietherapie angeboten, die aus Folgendem besteht:

  • wöchentlichen einstündigen Therapiesitzungen
  • einem individuell abgestimmten häuslichen Übungsprogramm
  • einer begleitenden Beratung von Eltern und Lehrern, gegebenenfalls von behandelnden Ärzten und betreuenden Diensten und
  • einer begleitenden Leistungstestung

Die Therapie setzt an den jeweiligen Lernausgangslagen des rechenschwachen Kindes, Jugendlichen oder Erwachsenen an. Das Ziel ist, die Betroffenen bei der Entwicklung eines korrekten Mengen- und Zahlbegriffs zu unterstützen. Darauf aufbauend wird ihnen der sichere Umgang mit Mengen und Zahlen im operativen Bereich vermittelt.

Die Therapie beinhaltet eine Förder- und eine Verlaufsdiagnostik. Der gezielte Einsatz von Veranschaulichungsmitteln, speziell entwickelten Arbeitsblättern und die Beobachtung des Lösungsverhaltens geben dem Dyskalkulietherapeuten ständig neue Aufschlüsse über noch zu erarbeitende „Bausteine“ der Arithmetik.

Am Ende der Therapie sollen die Lücken im mathematischen Verständnis aufgearbeitet sein und bei Schulkindern der Anschluss an den aktuellen Schulstoff ermöglicht werden. Mit Schulabgängern wird das zum Erwerb der Berufsbildungsreife notwendige bzw. das berufsbezogene mathematische Wissen erarbeitet.

Die Dyskalkulietherapie findet in der Regel als Einzeltherapie statt und dauert durchschnittlich zwischen 18 und 24 Monaten. Gruppentherapien sind nicht sinnvoll, weil die therapeutische Praxis aufgrund der unterschiedlichen Lernausgangslagen, Lernschwierigkeiten und des individuell abgestimmten fehleranalytischen Vorgehens genau auf den Einzelnen abgestimmt sein muss.

6. Fallbeispiel ANNA

aus: Krauthausen/ Scherer (Hrsg.): Mit Kindern auf dem Weg zur Mathematik

Anna, 1. Klasse
nach kurzer Zeit, ca. nach den Herbstferien, Unstimmigkeiten im Beziehungsdreieck Zahlwort – Menge – Zahlzeichen
zu 17: Anna sagt 7, Zuordnung ebenfalls 7 Plättchen
entsprechend alle Zahlen > 10

7. Diagnostische Untersuchung, Annas Defizite:

  • erfasst Anzahlen > 6 zählend durch Kopfnicken
  • nutzt Vorteil strukturierter Punktfelder nicht für die Anzahlerfassung
  • kann nicht zu einer Zahl > 10 die dazugehörige Elementemenge legen
  • betrachtet nur die Einerstelle
  • erkennt mathematischen Gehalt eigens durchgeführter Handlungen (Wegnehmen, Dazutun), kann dies aber nicht symbolisch notieren

8. Fördermöglichkeiten:

  • Arithmetische Gesetzmäßigkeiten durch: Wendeplättchen, Punktfelder
  • Zahlreihe sowie Anzahlerfassung durch: Zwanzigerreihe, Zahlenstrahl, Wendeplättchen, Rechenschlange, Zahlenkarten, „Räuber und Goldschatz“
  • Räuber und Goldschatz: Orientierungsübungen im Zahlenraum bis 20 (nummerierte Felder, Würfel, vorwärts „Plusräuber“, rückwärts „Minusräuber“)
  • Zahlenstrahl: vollständig beschriftet von 1 bis 20, reduziert (5, 10, 15, 20), offen/leer; verknüpft mit Zählübungen
  • Punktfelder (Einprägen von Zahleigenschaften)
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