Bernhard Schlink erzählt in seinem Roman „Der Vorleser“ von einem Vierteljahrhundert der Liebe eines erwachsen werdenden Mannes zu einer älteren Frau, die ihm zu Hilfe eilt, als er noch ein Junge ist. Michael Berg, so der Name der männlichen Hauptperson, ist im Jahr 1959 an Gelbsucht krank, und als er sich eines Tages auf der Straße übergeben muss, kommt ihm Hanna Schmitz zu Hilfe, die einige Jahre älter ist als Berg. Als der später von seiner Mutter noch einmal zu Hanna geschickt wird, damit er sich ordentlich bei ihr bedankt, muss er zunächst ein Weilchen auf Hanna warten. Als diese dann nach Hause kommt und sich erst umziehen möchte, schaut Michael ihr heimlich zu und wird ertappt, weswegen er vor Scham Reißaus nimmt. Doch beim nächsten Besuch verführt Hanna Michael und die beiden werden zu einem Liebespaar.
Der Vorleser – Bernhard Schlink
Michael, dem im Laufe der Zeit mit Hanna klar geworden war, dass sie Analphabetin sein musste, begegnet Hanna jedoch schon während des Studiums wieder – in einem Gerichtssaal, dem er als Jurastudent einen Prozess gegen NS-Verbrechen beobachtet. Er traut seinen Augen kaum, als er erkennt, dass es sich um Hanna handelt, gegen die Anklage erhoben wurde, da sie im Dritten Reich als KZ-Wärterin an Selektionen teilgenommen haben soll. Michael wird schnell klar, dass seine frühere Geliebte nicht für alle Anklagen schuldig gesprochen werden darf, da sie als Analphabetin nicht alles wissen und durchschauen konnte, was ihr zur Last gelegt wird.
Bei seinem Vater holt er Rat ein, ob er das Gericht über diese Erkenntnis aufklären soll. Doch der verneint dieses Anliegen. Hanna müsse das selbst klären, so der Vater, doch im Endeffekt wird sie zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt. Michael hat die Idee, an die alten Gewohnheiten der beiden anzuknüpfen. Er liest Bücher laut und nimmt das Gesprochene auf Kassetten auf, die er ihr ins Gefängnis schickt. Nach ein paar Monaten schreibt ihm Hanna aus dem Gefängnis einen Brief – sie hat inzwischen Lesen und Schreiben erlernt –, den er jedoch nicht beantwortet. Jahre später, kurz vor Hannas Entlassung, wird er seitens des Gefängnisses gebeten, Hanna am Tag der Entlassung abzuholen, kurz entschlossen besucht er sie zuvor das erste Mal und stellt dabei fest, dass sie in sich gekehrt ist und alles von ihr abprallt.
Michael möchte ihr dennoch helfen, sich im neuen Leben zurechtzufinden, doch dazu kommt es nicht mehr – da sich Hanna im Gefängnis erhängt. Wie herauskommt, hat sie ihr restliches Vermögen einer jüdischen Stiftung vermacht und sich in den letzten Jahren im Gefängnis umfangreiches Wissen über die Verfolgung der Juden in Europa, den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg angeeignet. Diese Schlusswendung lässt den Leser vor der Frage, ob Hanna sich aus unerfüllter Liebe, unbewältigter Vergangenheit oder aus beiden Motiven das Leben nimmt. Zudem beschäftigt sich dieser aus drei Teilen bestehende Roman im letzten Teil mit der Frage vom Umgang mit Schuld.