Bertolt Brecht (1898 – 1956) schrieb sein Drama „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ unter Mitarbeit von Margarete Steffin im Exil in Finnland.
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- Interpretation
- Aufbau
- Historischen Hintergründe
- Schlussworte
- Schlüsselszenen
- Personen & Orte aus der Zeitgeschichte
- Parallelen zu Adolf Hitler und der NS-Zeit
- Entstehung des Dramas
Interpretation
Das Drama wird häufig als Parabelstück (ein zur selbständigen Handlung erweiterter Vergleich) bezeichnet, auch wenn Brecht es selbst eine „historienfarce“ nannte.´Eindeutig ist das Drama dem Epischen Theater zuzuordnen. Es möchte durch Verhüllung die Enthüllung. Dies wird durch Verfremdungseffekte erreicht.
Die zwei wichtigsten Verfremdungsmittel im Drama sind das Gangstermilieu und der „Große Stil“ und bilden eine Doppelverfremdung. Mit dem „großen Stil“ ist die Sprache der Gangster gemeint. Es wird der Gestus der klassischen Tragödie mit fünffüßigen, oft aber holprige Jamben, aufgegriffen. Die Gangster imitieren die klassischen Dramenfiguren. Ein starker Kontrast entsteht. Die Gangster und ihre Sprache wollen nicht so recht zusammen passen.
Identifikation wird verhindert und Interpretation ermöglicht. Durch den parabolischen Charakter des Dramas werden damit die NS-Verbrecher der Lächerlichkeit preisgegeben und „der übliche gefahrvolle Respekt vor den großen Tötern“ zerstört. Außerdem wird die Theatralik der NS-Rhetorik karikiert.
Hitler wird hierdurch zum Hampelmann degradiert, der den „großen Mann nur spielt“.
Verdammte Zeiten! ’s ist, als ob Chicago
Das gute alte Mädchen, auf dem Weg
Zum morgendlichen Milchkauf in der Tasche
Ein Loch entdeckt hätt und im Rinnstein jetzt
Nach ihren Cents sucht. / Letzten Donnerstag (…) (S.10)
Weitere Mittel der Verfremdung der Verfremdung stellen die Übernahmen aus Werken anderer dar. Brecht baut Zitate aus Dramen Schillers ein oder verfremdet ganze berühmte Szenen. Beispielsweise benutzt er die Gartenszene aus Faust I von Goethe. Der Zuschauer bemerkt die parallelen und Unterschiede und wird dadurch zum Nachdenken angeregt.
Auch der Titel zeigt den fürs Epische Theater lehrhaften Charakter: Der Aufstieg Arturo Uis ist „aufhaltsam“. Der Epilog zieht die Lehre: „Ihr aber lernt, wie man sieht statt stiert“ … „Und handelt, statt zu reden noch und noch“
Aufbau
- Das Drama besteht aus 17 Szenen oder Bildern, eingerahmt von einem Prolog und Epilog.
- Zeitsprünge, Ortswechsel, Vielzahl an Figuren, Ereignisse zwischen Szenen werden ausgespart, Z.B. Morde an Dullfeet und Sheet.
- Dies entspricht somit einer offenen Form des Dramas, welche den Zuschauern aktive Teilnahme abverlangt.
- Kontinuität auf der Ebene der Zeitgeschichte. Es gibt Schrifteinbledungen am Ende jeder Szene, welche die Spielhandlung, mit den Ereignissen der Jahre 1929 bis 1938 in Deutschland in Beziehung setzen.
Historischen Hintergründe
- Szene 1-3: Ui in Wartestellung (indirekte Exposition) Hitlers Strategie der „legalen“ Revolution, nachdem der gewaltsame Putschversuch 1923 gescheitert ist
- Szene 4-6 Ui im Geschäft Das Bündnis der konservativen Kräfte und der Wirtschaft mit Hitler
- Szene 7-8: Ui übernimmt die Führung Übernahme der Führung durch Hitler und Ausschaltung der Opposition
- Szene 9-12: Uis Geschäftgebaren Abschaffung demokratischer Freiheiten und Ausschaltung innerparteilicher Gegner
- Szene 13-17: Uis expansives Vorgehen Festigung der Macht durch imperialistische Expansion (Einmarsch in Österreich)
Schlussworte
So was hätt einmal fast die Welt regiert!
Die Völker wurden seiner Herr, jedoch
Daß keiner uns zu früh da triumphiert –
Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch (Aus seiner Kriegsfibel)
Schlüsselszenen
- Schauspielerszene: Kritik an NS-Propaganda und Rhetorik
- Speicherbrandprozess: Entlarvung von Rechtsbruch und brutaler Unterdrückung<
Personen & Orte aus der Zeitgeschichte
- Dogsborough = Hindenburg
- Arturo Ui = Adolf Hitler
- Giri = Göring
- Roma = Röhm
- Dullfeet = Dollfuß
- karfioltrust = Junker und Industrie
- gangster = Faschisten
- dockshilfeskandal = Osthilfeskandal
- speicherbrandprozess = Reichstagsbrandprozess
- Chigago = Deutschland
- Cicero = Österreich
- Givola = Goebbels
- Fish = van der Lubbe
Parallelen zu Adolf Hitler und der NS-Zeit
Dem Karfioltrust geht es wirtschaftlich schlecht, sie wollen von Dogsborough Staatsanleihen bekommen. Die Weltwirtschaftskrise betrifft auch Deutschland, die Junker wollen Staatsanleihen. Der Karfioltrust verkauft Sheets Reederei für wenig Geld an Dogsborough. Die Junker schenken Hindenburg einen Gutsbesitz.
Ui ist noch im Hintergrund, es gelingt ihm nicht sich mit dem Karfioltrust zu einigen. Er möchte versuchen, auf legalem Weg an die Macht zu gelangen. Er erfährt von Bowl, dem ehemaligen Prokuristen von Sheet, dass die Reederei nun Dogsborough gehört. 1932 steht Hitler vor dem finanziellen Ende, ihm und seiner Partei droht die Auflösung. Er schafft es lange nicht, mit Hindenburg richtig zu sprechen.
Ui droht Dogsborough mit der Aufdeckung des Dockshilfeskandals, er lässt sich aber nicht einschüchtern. Hindenburg verweigert Hitler den Reichskanzlerposten, Hindenburg hat mit der Untersuchung des Osthilfeskandals zu rechnen. Ui und seine Leute räumen alle Zeugen aus dem Weg, der Ankläger O’Casey muss die Untersuchung des Dockshilfeskandals fallen lassen. Die Untersuchung des Osthilfeskandals wird zerschlagen.
Ui lernt von einem Schauspieler in seinem Hotelzimmer, wie man auf eine große Menge von Leuten wirkt. Hitler bekommt von einem Provinzschauspieler Unterricht, er lernt, wie man auf viele Leute wirkt.
Die Gangster von Ui zünden den Speicher von Hook an, Zeugen werden durch Drohungen zum Schweigen gebracht. Im Februar 1933 geht der Reichstag in Flammen auf, Hitler beschuldigt seine Gegner den Brand gelegt zu haben.
Es kommt zum Speicherbrandprozess, Fish, der unter Drogen steht, wird als Täter verurteilt. Man merkt, dass das Gericht schon in der Hand von Arturo Ui ist. Der Niederländer Marinus van der Lubbe wird als Alleintäter für den Brand verurteilt. Heute gibt es die Theorie, dass Hitlers Leute den Reichstag selbst in Brand gesetzt haben. Da er von mehreren Seiten gleichzeitig zu brennen anfing, kann es sich nicht um einen einzelnen handeln.
Giri, Givola und Roma tragen interne Machtkämpfe aus. Roma wittert eine Intrige gegen Ui und verabredet sich mit ihm zu einem Treffen in der Garage des Hotels. Hindenburg ist schon alt und wird vermutlich bald sterben, unter den Nationalsozialisten entstehen Machtkämpfe.
Ui lässt Roma und seine Gefolgsleute in der Garage des Mammoth-Hotels ermorden. Röhm und seine Gefolgsleute (die Sturmabteilung SA), die in Konkurrenz zu der Schutzstaffel SS steht, werden ausgeschaltet. Parallelen mit dem Valetins-Massaker aus der Geschichte Capones.
Ui bemüht sich um das Vertrauen von Dullfeet, jedoch ist Dullfeet für die Freiheit von Cicero. Die Ermordung von Dullfeet wird schon angekündigt. Dollfuß willigt ein, die Presse zum Schweigen zu bringen. Die Presse soll nicht mehr gegen das nationalsozialistische Deutschland schreiben, um Hitler keinen Grund zu geben, in Österreich einzufallen.
Dullfeet wird ermordet, Ui möchte nun Betty Dullfeet auf seine Seite bringen. Dollfuß wird ermordet, Hitler bemüht sich um Österreich. („Als dann unerwartet / Ein andrer Mann, Ignatius Dullfeet, mir / Den gleichen Antrag stellte, nun für Cicero / War ich nicht abgeneigt, auch Cicero / In meinen Schutz zu nehmen.)
Ui dehnt nach einer Abstimmung, die er nur durch Drohungen für sich entscheiden konnte, seinen Einfluss auf Cicero aus. „Wer da nicht für mich ist / ist gegen mich und wird für diese Haltung / Die Folgen selbst sich zuzuschreiben haben. / Jetzt könnt ihr wählen!“ Am 11. März 1938 marschieren Hitlers Truppen in Österreich ein. Daraufhin wird eine Volksabstimmung durchgeführt, um den „Anschluss“ im Nachhinein zu rechtfertigen.
Entstehung des Dramas
- Das Drama entstand in wenigen Wochen im Exil in Finnland.
- Brecht hatte sich dem Kampf gegen den Faschismus verschrieben.
- Brecht war inspiriert von Gangsterkriegen, die er bei seinem USA Besuch 1935 erlebt hatte.
- In Amerika im Bandenwesen erkannte Brecht 1935 Verquickung von Politik, Wirtschaft und Verbrechen, sowie ein führerzentrierter Aufbau und zog Parallelen zum Aufstieg Hitlers.
- Arturo Ui stellt eine Verknüpfung der Lebensläufe von Hitler und Al Capone, einem Gangster, der sich gleichzeitig als anständiger Geschäftsmann präsentierte, dar. In ihrer Parallelität kann Brecht die kriminelle Seite des Faschismus aufzeigen.
Hier findest du eine Zusammenfassung von „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“.