Rollenbiographie des Marinelli in „Emilia Galotti“

„Zunächst möchte ich den Leserinnen und Lesern dieser, meiner, Autobiographie eine kurze Einleitung in mein Leben geben.

Mein Nach- und Rufname ist Marinelli. Ich bin 50 Jahre alt und mit diesem stolzen Alter kann ich bereits einige Berufsjahre als Kammerherr und engster Vertrauter bei meinem Herrn, dem Prinzen von Guastalla, verzeichnen. Aus diesen Umständen lässt sich unschwer erkennen, dass ich in der Stadt Guastalla, genaugenommen im Schloß des Prinzen, lebe und arbeite.

Früher bestand die Hauptaufgabe meiner Arbeit darin für den Prinzen auszukundschaften und Botschaften zu überbringen. Doch als engster Vertrauter konnte ich meinem Herrn bis zum heutigen Tage schon einige Male als Berater und Problemlöser, ich will nicht sagen genialer Retter in der Not, zur Seite stehen und selbst die kniffligsten Aufgaben lösen. Meine durchaus cleveren Pläne halfen meinem , ich möchte doch sagen, ohne mich hilflosem Herrn Prinzen seiner unglücklich geliebten Emilia Galotti ein gutes Stück näher zu kommen und mögliche Gefahren und Kontrahenten, die diesen Auftrag gefährden konnten, aus dem Weg zu räumen. Doch mehr dazu später. Um mich und mein Tun besser nachvollziehen zu können werde ich nun näher auf meine Wenigkeit im Bezug auf unsere restliche Gesellschaft und einzelner hochgeschätzter Personen eingehen.

Man kann wohl sagen, dass ich als Stellvertreter des Prinzen, sowie ich im Normalfall auftrete, bei dem gewöhnlichen Volk eine gehobenere Stellung einnehme. Doch dieser Umstand scheint einigen Personen nicht genug um mich mit diesem mir gebührenden Respekt zu behandeln.

Der Graf Appiani , z.B. ist in meiner Gegenwart oftmals ein höchst ungehaltener Mann und weiß sich nicht zu benehmen. Er denkt nach wie vor er könnte sich dem Willen des Prinzen, und damit einem Stück weit auch meinem Willen, wiedersetzen und dabei auch noch jeglichen guten Ton verlieren, den ich zu meinem Teil immer wahre. Genauso wie Odoardo Galotti. Ein Sturrkopf erster Klasse und überaus schnell hitzig. Nur weil er und der Graf Appiani dem Prinzen mit einer offenkundigen Feindeshaltung entgegentritt muss ich das, wie immer, ausbaden. Allerdings bringe ich dieses Opfer gerne, denn diese Aufopferungshaltung heimst mir immer ein Stückchen Anerkenung des Prinzen ein , derer ich sehr bemüht bin. Ich weiß um meinen Einfluss, den ich damit beim Prinzen ausüben kann und habe keine Scheu auch einmal Kritik zu üben, wenn es der Anlass bedarf.

Nicht allein hierbei hilft mir mein retorisches Geschick größere Rückschläge zu vermeiden oder mich ganz einfach zu belustigen.

Die Gräfin Orsina ist zu letzterem vortrefflich geeignet. Als alte und abgeschobene Geliebte des Prinzen ist ihr Herz noch sehr gebrechlich, doch ihr Hochmut blüht wie in alten Zeiten. Durch leicht ironische Bemerkungen und geringer, aber doch beachtlicher Schauspielerischen Leistungen gelingt es mir bis zum heutigen Tage sie an meiner Intelligenz zweifeln zu lassen, wodurch ich mich in ihrer Gegenwart stets frei von Schuld reden kann. Das Beste daran ist, dass sie ihre Weisheit hingegen für unübertrefflich hält.

Für die schöne, unschuldige Emilia Galotti ,um die sich mein ganzes Tatwerk dreht, habe ich keinseswegs so viel übrig wie der Prinz . Sie ist nur mein Mittel zum Zweck und wird von mir rein persönlich auch nicht als sehr viel bedeutender angesehen. Sie ist recht naiv und daher für mich auch leicht zu händeln.

Zu Claudia Galotti, der Mutter Emilias hat sich während meiner jüngsten Erlebnisse ein sehr spezielles Verhältnis entwickelt. Sie war die einzige, die meinen Plan vollkommen durchschaute und mich entlarven wollte. Sie hat, zu meinem Nachteil, ein überaus großes Kombinationsvermögen und hat sich wohl schon länger ein Bild über mich gemacht. Sie ist die größte Bedrohung für mich und meinen unbescholtenen Ruf. Ich sehe sie als nahezu einzige Person, die sich nicht von meinen absolut überzeugenden und einleuchtenden Worten hat in die Irre führen lassen. Eine besorgte Mutter, so glaube ich, hat wohl einen ganz anderes Gespühr für die Personen, die ihrer Tochter Übel wollen. Doch glaube ich trotzdem nicht wirklich, dass sie mich verrät, denn sie ist immer noch eine einfache Bürgerin, die einen Aufstieg ihrer Tochter in das Adelsmilieu nicht wirklich entgegenwirken will.

So kann man sagen, das ich zwar nicht nur wohlgesinnte Menschen in meiner Umgebung, aber durch meine Brillianz dennoch alle unter Kontrolle habe.“

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