Der Adel
Deutschland, dass nach dem Dreißigjährigen Krieg aus Hunderten von Staaten bestand, hatte keine gemeinsame Opposition gegen die absolutistische Herrschaft entwickelt. Es wurde zwar vereinzelt Kritik an der Verschwendungssucht der Fürsten geäußert, doch es regte sich kein nennenswerter Widerstand gegen die Obrigkeit. Die deutschen Dichter kannten zwar die Schriften ausländischer Kritiker des Absolutismus, doch bei aller eigenen Kritik hatte man nichts gegen die ständische Einteilung des eigenen Landes. Allenfalls hofften sie auf eine Reformierung des Adels.
Die Dichter des Sturm und Drang thematisierten aber das Verhältnis zwischen Adel und Bürgertum in ihren Dramen. Die Liebespaare ihrer Theaterstücke stammten aus unterschiedlichen Ständen. Doch diese Beziehungen scheiterten immer. Die Dichter dieser Epoche waren nicht unbedingt davon überzeugt, dass es persönliche Verbindungen zwischen Adel und Bürgertum geben sollte. So hatte die älter gewordenen Dichter später nichts dagegen, in den Adelsstand versetzt zu werden.
Die Dichter des Sturm und Drang kamen aus dem Bürgertum. Ihre Abneigung gegenüber dem Adel war aber indifferent. Sie verachteten zwar das zügellose, verschwenderische Leben am Hof. So stellten sie besonders die Angehörigen des Hofadels als korrupt und kriecherisch dar. Andererseits schufen die Dichter in ihren Theaterstücken Adlige, die verantwortungsbewusst für ihr Land wirkten. Doch diese können sich nie gegen die intrigante Hofgesellschaft durchsetzen.
Die kritische Haltung gegen die absolutistischen Herrscher, hier besonders Friedrich II. zu nennen, führte nicht dazu, dass die jungen Dichter eine Art von politischer Organisation gründeten, denn sie waren von tiefem Misstrauen gegen jegliche politische Arbeit und Verfassungen erfüllt.
Die Familie
Hamann mag dafür als ein Beispiel dienen. Er setzte sich zwar als Patriot für seine Heimatstadt Königsberg ein, doch er sah nur in der Familie als soziale Einrichtung eine Notwendigkeit. Der Staat und seine Verwaltung waren ihm suspekt. Auch Goethe, obwohl lange Zeit Minister in Weimar, konnte in der Politik nicht wirklich Nützliches sehen.
Auch Herder sah in der Familie und dem Patriarchat die einzig richtige Gemeinschaft. Er berief sich dabei auf die Bibel. Seiner Ansicht nach waren die Völker aus der Zeit der Bibel noch nicht vom Materialismus korrumpiert. Jeder konnte hier noch die Gemeinschaft, in der er lebte, mit gestalten. Herder sah zunächst in den Kleinstaaten, die Rücksichten auf regionale Sitten und Gebräuche nahmen, das Vorbild für eine “natürliche” Gemeinschaft.
Politische Ideen
Goethe schuf in seinen Werken die Figur des “Tatmenschen” als neuen bewunderten Heldentyp. Nicht nur Goethe, auch Klinger und Herder bewunderten große historische Gestalten, die der Welt ihren Willen aufgezwungen hatten. Dabei beachteten sie überhaupt nicht die politischen Intentionen der “Tatmenschen”. Dass der von Goethe verehrte Cäsar eine Diktatur anstrebte, entging ihm vollständig.
Mangelndes Verständnis für politische und soziale Hintergründe zeigten Goethe u.Co auch während des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs. Sie nahmen ihn kaum zur Kenntnis!
Schiller deutete hingegen in “Kabale und Liebe” und “Die Räuber” politische Ideen an. Seine Helden sind nicht nur Tatmenschen, sie denken über ihre eigenen Lebensumstände hinaus. Die Forderungen der Französischen Revolution werden bei Schiller in die Handlungen eingeflochten.
Das Bürgertum
Das deutsche Bürgertum war im 18. Jahrhundert unterteilt in verschiedene soziale Gruppen. Handwerker, Kaufleute und Patrizier lebten in streng abgeschotteten Umfeldern. Eine Heirat zwischen Angehörigen unterschiedlicher Herkunft war unerwünscht
Wie die Stürmer und Dränger nichts gegen die Trennung von Adel und Bürgertum hatten, so akzeptierten sie sozialen Unterschiede innerhalb des Bürgertums. Goethe und seine Freunde sahen auf große Teile des Bürgertums herab, weil sie deren geistiges Niveau gering schätzten. Allenfalls bewunderten sie die Menschen, die sich durch ihre praktische Begabung auszeichneten. Die “Natürlichkeit” und ihre offene Sprache fanden Gehör.
Handwerker und Kaufleute hingegen fanden Herder und seine Anhänger vulgär.
Die Rolle der Frau
Die Frauen in der Literatur der Aufklärung spiegelten die Moralvorstellungen der Zeit wider. Die Frauen, meistens aus den besseren Kreisen, strebten nur die Ehe an und waren pflichtbewust und tugendhaft. Die Vertreter des Sturm und Drang veränderten etwas das eigene Frauenbild. Die Frauen sind bei ihnen etwas lebhafter und selbstbewusster. Das Verhältnis der Tochter zu den Eltern, besonders zum Vater, spielt jetzt keine wesentliche Rolle in Goethes Dramen. Der bisherige Gehorsam einer folgsamen Tochter wird nicht thematisiert.
Die Frauen, die häufig aus einfachen bürgerlichen Verhältnissen entstammen, haben das Elternhaus verlassen und wollen selbständiger leben. Trotzdem suchen sie nach der Liebe, wobei sie mit den Moralvorstellungen der Zeit in Konflikt geraten. Deshalb darf man in den Frauengestalten des Sturm und Drang aber keine “emanzipierten” Frauen sehen. Diese Idee der Gleichberechtigung lag den Dichtern mehr als fern. Sie verklären die Liebe über alle Maßen, doch die Frau weiter pflichtbewusst, häuslich und praktisch veranlagt sein. So sorgt Lotte im “Werther” aufopferungsvoll für ihre Geschwister; Grete ist eine umsichtige Haushälterin.
Obwohl die Weggefährten Goethes dieses Bild der liebenden und pflichtbewussten Frau zeichneten, waren die Dichter mit Frauen bekannt, die diesem Charakterbild überhaupt nicht entsprachen. Charlotte von Stein u.a. waren sehr selbstbewusst und hochgebildet. Die Stürmer und Dränger erreichten zwar keinen bedeutsamen Wandel im gesellschaftlichen Bewusstsein, doch es gab immer mehr Frauen, die sich im kulturellen Leben Anerkennung verschaffen konnten.
Das Volk im Ansehen der Stürmer und Dränger
Die Dichter des Sturm und Drang waren, wie bereits erwähnt, keine Revolutionäre, die das Gesellschaftssystem drastisch verändern wollten. Die Dichter betrachteten sich als geistige Elite und blickten daher abschätzig auf die ärmeren Bevölkerungsgeschichten hinab und pflegten deshalb keinen Kontakt mit ihnen, hier vor allem den Bauern.
Ihre Haltung war aber auch wie gegenüber dem Adel ambivalent. Die Kreise um Herder verklärten das Bauernleben. Die Dichter beneideten die Bauern z. B., dass diese sich nicht um Fragen der Moral und der Gesellschaft zu kümmern brauchten. Die Bauern lebten nach einem einfachen Sittenkodex, der an biblische Zeiten erinnerte, wie Herder sie schätzte. Bewunderung fand auch die praktische Begabung der Bauern. Bei aller Begeisterung für das Landleben konnten sich die Vertreter des Sturm und Drang aber nicht vorstellen, selber hinter dem Pflug zu gehen bz. den Stall auszumisten.
Einzelne Dichter, wie Gellert und Gleim, dokumentierten ihre geistige Überlegenheit mit ihren so genannten Volksdichtungen. Damit wollten sie den einfachen, ungebildeten Menschen an höhere Literatur heranführen. Betrachtet man die Texte genauer, erkennt man aber deren Überheblichkeit.
Bemerkenswert ist aber, dass sich einzelne Dichter für die Abschaffung der Leibeigenschaft einsetzten. Doch viel weiter gingen ihre Forderungen nicht. Goethe zeigte in seinem “Götz” deutliches Wohlwollen gegenüber den Bauern. Doch als diese mehr fordern, lehnt Goethe nicht nur im Götz die Forderungen der Bauern vehement ab.
Das Volkslied fand bei Herder deshalb Interesse, weil es Ausdruck der deutschen Nation war, in dem sich die Moralvorstellungen vergangener Zeiten wiederfinden ließen. Darin sah Herder einen Grundstein für eine neue nationale Literatur.
Einige seiner Zeitgenossen teilten die Begeisterung für die deutschen Volkslieder nicht, weil sie ihnen einfach zu schlicht waren. Ein Intellektueller könne keinen Reiz in den Worten des einfachen Volkes, des “Pöbels” finden, so ihre Ansicht. Während Herder eine Sammlung deutscher Volkslieder begann, veröffentlichten seine Gegner Anthologien von Volksliedern, die äußerst schlampig redigiert und in Mundart veröffentlicht wurden, um die Volksliedkultur der einfachen Menschen zu verunglimpfen.
Literatur:
Roy Pascal:
Der Sturm und Drang. 2. Aufl.
Stuttgart: Kröner 1977
(Kröners Taschenausgabe; 335.)