Vor Goethes Werther gab es in Deutschland die barocken Romane, die die adlige Gesellschaft schilderten und die Abenteuerromane eines Robinson oder Simplizissimus. Johann Wolfgang von Goethe schildert hier zum ersten Mal die Gefühlswelt eines jungen Menschen in seiner Zeit.
Hinweis: Hier zur kurzen Zusammenfassung von „Die Leiden des jungen Werther“.
Der Briefroman schildert die Ereignisse aus der Sicht einer einzigen Person und erreicht damit eine Identifikation des Lesers mit dem Schreiber. Die Gedanken und Gefühle des Erzählers werden unmittelbarer erlebt. Die Sprache im Werther folgte nicht mehr den Regelvorstellungen der Aufklärung.
Goethes Zeitgenossen hatten das Briefeschreiben zu einer beliebten Mitteilungsform gemacht. Auch die Literatur hatte in der Zeit der Aufklärung den Briefroman entdeckt. Für Werther sind seine Briefe an den Freund Wilhelm ein wichtiges Kommunikationsmittel, um seine Gefühle auszudrücken.
Goethe kam zuerst mit den Briefromanen bei seinem Besuch bei Sophie von LaRoche in Berührung. Sie war die Autorin eines bekannten Briefromans: “Geschichte des Fräulein von Sternheim”.
Das Verwenden von Briefen in Romanen war bereits ein bekannter dramaturgischer Effekt. Briefe wurden in der übrigen Handlung als Ergänzung eingebunden. Doch im eigentlichen Briefroman konnte der Autor jetzt die Äußerungen der Briefeschreiber miteinander verbinden und damit einen sehr persönlichen Disput gestalten.
Doch Goethe variierte mit dem Werther die Regeln des Briefromans. Er lässt keinen Disput zu. Nur eine Person schreibt hier
Goethes Jugendroman hatte zu seiner Zeit ein überraschendes Echo in der Leserschaft, und begründete früh seine Meisterschaft. Bald folgten Übersetzungen ins Französische und Englische und andere europäische Sprachen. Goethe war von der Begeisterung der Werther-Leser in seinen späteren Jahren nicht sehr angetan. Für viele blieb er der Autor des Werthers. Seine anderen Werke zählten für die Werther-Anhänger nicht.
Goethe hatte betont, den Werther in nur vier Wochen geschrieben zu haben, ohne dabei ein Konzept bzw. Handlungsgerüst gehabt zu haben. Doch die Handlung hat eine durchgehende Struktur. Geschehnisse und Eindrücke weisen auf das Schicksal hin und begleiten es. So beginnt der Roman im Mai und Werther begeht im Winter Selbstmord. Die Hinweise auf den Nussbaum, der zunächst das einfache Leben im Pfarrhaus verdeutlichen soll, und die Fällung des Baums korrespondieren Werthers Lebensgefühl.
Das Buch wurde mit großer Ergriffenheit gelesen. Der Briefroman hatte für die Leser einen fast dokumentarischen Charakter. Viele Menschen identifizierten sich mit der Romanfigur, sie lebten sie. Die jungen Menschen kleideten sich wie Werther und Lotte. Überall tauchten auf allen möglichen Gegenständen Bilder aus dem Werther auf. Eine kritische Distanz zum Text fand nicht statt.
Werther wurde auch deshalb zum Erfolg, weil der Roman zur richtigen Zeit erschien, als der so genannte Empfindsamkeits-Stil immer beliebter wurde. Außerdem befriedigte er die Neugier seiner Leser, die genau wussten, wer die realen Vorbilder der Werther-Personen waren.
In der Mitte des 18. Jahrhunderts nahm die Literatur eine immer stärker werdende Rolle im Leben des Bürgertums ein. Das spiegelt auch der Werther wieder. Seine Personen sind immer wieder mit dem Lesen beschäftigt. Sie sprechen über Eindrücke aus ihrer Lektüre und zeigen damit auch ihre Stimmungen.
Einige Literaturkritiker sahen den Werther als „reinen Liebes- und Gefühlsroman“, andere als „Dokument der revolutionären Aufklärung“ (Georg Lukacs). Zeitgenössische Kritiker wie der Hamburger Pastor Johann Melchior Goeze sahen im Werther “den Vorboten eines künftigen ´Sodom und Gomorrha´”, und der Verleger Friedrich Nicolai verspottete Goethes Werke durch mehrere Paraodien. Andere Gegner forderten gar ein Verbot des Werther.
Am Anfang ist Werther ein ruheloser, junger Mann. Interesse und Abwehr lassen ihn unstet in den Tag leben. Er meidet die Bürger, hat aber andererseits guten Kontakt zu den einfacheren Leuten des Ortes. Zufrieden ist er nur in Verbindung mit der Natur. Er verlässt deshalb immer wieder die Stadt. Homer lesend und die Natur unmittelbar erlebend, ist für ihn das Glück. Hier ist er vital und voller Begeisterung. Hier steckt er voller Pläne und will aus den Zwängen des Alltags herausfliehen. Selbstverwirklichung ist sein Ziel. Im Alltag dagegen kann er seine Fähigkeiten nicht entfalten. So scheitert er auch als Künstler, weil er nicht in der Lage ist, seine Empfindungen umzusetzen. Er überschätzt sich bei seinen künstlerischen Bemühungen, ihm fehlt dazu das nötige Rüstzeug. Er schwelgt im Selbstmitleid und sieht sich als verhinderten Künstler. Die naive Kunstbegeisterung anderer Menschen sieht er mit Unwillen und verurteilt sie. Doch eigentlich ist er genauso, wie die von ihm kritisierten Kunstfreunde.
Seine Begegnung mit Lotte verändert sein Leben schlagartig. Seine Schwärmerei und seine Liebe ist überwältigend. Werther schreibt: “ich weiß weder, dass Tag noch Nacht ist, und die ganze Welt verliert sich um mich her.” Albert, der Verlobte Lottes, ist nicht eifersüchtig auf den Verehrer seiner Frau. Albert ist eine besonnener und umsichtiger Mann, der taktvolles Vertrauen den Beiden gegenüber hat. Im Gegensatz zu Werther ist er musisch vollkommen unbegabt. Werther kann diesen Zustand bald nicht mehr ertragen. Auf Anraten seines Freundes Wilhelm verlässt er den Ort.
Werther arbeitet anschließend in einer Gesandschaft. Hier erlebt er den Konkurrenzkampf der Bediensteten, die Karriere machen wollen. Auch mit den Vertretern des Adels kommt Werther nicht zurecht. Diese lassen ihren Standesdünkel gegenüber dem Bürgerlichen deutlich spüren.
Er muss einfach wieder zu Lotte zurückkehren, die inzwischen Albert geheiratet hat. Dem Ehemann bescheinigt er eine gewisse Gefühlslosigkeit. Werther steigert sich in seinen Gefühlen zu Lotte immer mehr, erkennt aber auch die Vergeblichkeit seines Werbens. Er beginnt im Tod Erlösung zu sehen. Auch die Natur kann ihn nicht mehr trösten. Inzwischen duldet Albert nicht mehr das Verhältnis zwischen seiner Frau und Werther. Sie soll sich nicht mehr dem Gerede der Leute des Ortes aussetzen.
Werther trifft noch ein Mal mit Lotte zusammen. Sie sind sich ein letztes Mal nah. Werther empfängt von Lotte zwei Pistolen, die er sich von Albert ausgeliehen hatte. Lotte ahnt, was Werther vorhat. Werther erschießt sich am Tag vor Weihnachten. Seine Hoffnung, dass es ein Wiedersehen nach dem Tod gibt. Der Tod des jungen Bauernburschen, von dem Werther kurz vorher erfahren hatte, erschüttert ihn und bestätigt ihn in seiner selbstzerstörerischen Gemütsverfassung. Hat er zu Beginn sein Leben mit den Jahreszeiten verglichen, so sieht er das Jahresende, den Winter, als Schlusspunkt seines Lebens an.
Um seinem Werther einen dokumentarischen Charakter zu geben und damit seine Wirkung zu verstärken, erfand Goethe einen Herausgeber, der durch seinen Bericht auch die Authenzität der Briefe zu beglaubigen scheint. “Die Leiden des jungen Werther” wurde stilbildend für die weitere deutsche Sprache. Goethe schrieb hier so intensiv und sprachlich vielfältig, wie es bisher nicht geschehen war. Er befreite die deutsche Sprache vom engen Korsett alter überkommender Traditionen.
Der Selbstmord Werthers war zur Zeit Goethes sehr umstritten. Der Dichter nahm zur Selbsttötung Werthers keine Stellung. Zu dieser Zeit wurde Selbstmord als Verbrechen betrachtet, der auch von der Kirche geächtet wurde. Ein englischer Bischof geißelte das Buch als “verdammenswert” und Anleitung zum Selbstmord. Ob Menschen tatsächlich nach der Lektüre des Werther Selbstmord begingen, ist umstritten.
Goethes Werther hatte sich von den Vorstellungen der Aufklärung und der Religion entfernt. Werther sucht keinen Trost im Glauben. Obwohl im Text immer wieder Hinweise auf Textstellen aus der Bibel vorkommen, bleibt Werther ein religionskritischer Roman. Werther bleibt ein Mensch, der als Individuum das Schicksal in die eigene Hand nimmt.
Werther ist nicht nur von der Vergeblichkeit seiner Liebe niedergedrückt. Ihn erfasst auch ein tiefer Lebensekel. Ein Gefühl, dass junge Menschen erfasst, wenn sie die täglich wiederkehrenden Zwänge als sinnlosen Kreislauf ansehen.
Werther rechtfertigt seinen Selbstmord auch dadurch, dass er ihn mit der Natur in Einklang bringt. Die Natur bringt Leben und zerstört es. Die fast religiöse Vorstellung bringt ihm Trost.
Literatur:
Die Leiden des jungen Werther Reclam 1997 (Reclam-Klassiker auf CD-ROM ; 2)
Bernhardt, Rüdiger:
Johann Wolfgang Goethe: Die Leiden des jungen Werther
Hollfeld: Bange 2002
Blessin, Stefan:
Johann Wolfgang Goethe ; Die Leiden des jungen Werther. 2. Aufl.
Diesterweg 1986
Brinckschulte, Eva:
Erläuterungen zu Johann Wolfgang von Goethe: Die Leiden des jungen Werthers. 2. Aufl. Bange 1979
Karthaus, Ulrich:
Sturm und Drang; Epoche, Werke, Wirkung
München: Beck 2000
(Arbeitsbücher zur Literaturgeschichte.) (darin: Goethes größter Bucherfolg. S. 181-191.)